Chapter Text
15 – Dame
Es ist das unweihnachtlichste Weihnachten überhaupt und daran ändern auch die tannengrünen Pailletten auf dem Kleid ihrer Mutter nichts. Narzissa hat die Bedeutung von Hogwarts unterschätzt. Außerhalb des Schlosses, ohne die meterhohen Tannen, Professor Flitwicks liebevolle Dekorationen und den Schnee über der Großen Halle ist es wirklich nicht leicht, sich besonders festlich zu fühlen. Sie ist eher mäßig begeistert, als Lucius und sie im Salon ihres Elternhauses landen und ihre Laune verschlechtert sich, als ihre Mutter ihr verkündet, dass Sirius und Regulus gemeinsam entschieden haben, dieses Jahr die Weihnachtsferien in der Schule zu verbringen. Ihre Cousins waren, neben ihrem Vater und Bella, die einzigen beiden Mitglieder ihrer Familie, auf die sie sich wirklich gefreut hatte.
Pflichtschuldig ließ sie sich von Rodolphus und Bella umarmen und gab ihrer Mutter einen Kuss auf die Wange. Der Salon sah erschreckend leer aus und ihr Vater, der in seinem Lieblingssessel saß und versuchte, seine zitternden Hände vor ihr zu verbergen, schien erneut um Jahre gealtert zu sein. Vorsichtig ging sie auf ihn zu und strengte sich an, nicht zu genau darüber nachzudenken, wie wächsern seine Haut aus der Nähe aussah. Er strahlte sie an, doch er stand nicht auf, obwohl ihm solche kleinen Höflichkeiten eigentlich sehr wichtig waren, sodass sie sich zu ihm hinunter beugen musste.
„Gut siehst du aus.“ Sie hatte ihren Vater im November einmal zur Mittagszeit im Ministerium besucht. Hinter seinem Schreibtisch wirkte er immer noch einigermaßen fit und weniger mitgenommen als in seinem eigenen Haus. Ihr Gewissen nagte an ihr, weil sie ihn so selten sah, kaum noch herkam und keine besonders ausführlichen Briefe schrieb. Natürlich hatte sie ihn in den letzten Jahren auch nur im Sommer und in den Weihnachtsferien gesehen, doch nun hatte sie ganz andere Möglichkeiten. Sie hatte die Zeit.
„Frohe Weihnachten, Daddy.“ Sie nahm seine Hand, die er zwischen seinem Bein und der Armlehne des Sessels hilflos versteckt hatte und drückte sie fest. „Wie geht es dir?“
„Ach, wie immer.“ Er lächelte und sah dabei so glaubwürdig aus, dass sie auf den nächsten Schrecken nicht vorbereitet war. „Wo hast du Andromeda gelassen? Schläft sie immer noch?“ Es war fast zwölf Uhr mittags und Andromeda hatte sich ihres Wissens nach bei niemandem gemeldet. Stumm zuckte sie die Schultern und blinzelte, um sich zu vergewissern, dass sie sich das enttäuschte Lächeln ihres Vaters nicht nur einbildete. Er machte keine Scherze.
Voller Panik ging sie in die Küche. Dort stand ihre Mutter und dirigierte wie üblich Wretchas Treiben. Ihre Haare waren ein wenig silbrig angelaufen, doch ansonsten sah ihre Mutter wirklich wie immer aus.
„Mum?“ Ihre Mutter zuckte zusammen und sah sie verärgert an.
„Du hast mich erschreckt.“
„Entschuldigung, aber… Dad hat nach Andromeda gefragt. Wollte sie… wird sie mit uns Weihnachten feiern?“ Sie wusste, dass sie aufgeregt klang und obwohl sie kaum glauben konnte, dass eine Versöhnung zwischen ihrer Schwester und ihren Eltern einfach so an ihr vorbeigegangen sein sollte, ertappte sie sich doch dabei, wie sie hoffte, dass es so war.
„Natürlich nicht.“ Ihre Mutter presste die Lippen aufeinander. „Dein Vater fragt ständig nach ihr. Er fragt auch ständig nach seinem Bruder Alphard.“ Sie rümpft anklagend die Nase. „Wenn du uns ein wenig öfter besuchen würdest, dann wüsstest du, dass es um den Verstand deines Vaters nicht zum Besten steht. Er ist… er ist nicht mehr derselbe. Ich habe einen Heiler vom St. Mungo zu einer Untersuchung hergebeten, aber es ist keine herkömmliche Krankheit. Er ist… ein Greis. Erst dachte ich, er hört mit Absicht schlecht, weil ihr alle aus dem Haus seid und er mit mir nicht sprechen mag, aber…“ Unvermittelt brach die Stimme ihrer Mutter ein und sie gab ein gotterbärmliches Schluchzen von sich.
„Mum?“ In diesem Augenblick wünscht sie sich sehnlichst, sie und ihre Mutter hätten ein besseres Verhältnis. Dann würde sie nicht nur darüber nachdenken, sie zu umarmen und zu trösten, sondern es einfach tun. Sie weiß, dass es grausam von ihr ist, nichts zu tun und ihre Mutter einfach nur anzustarren, aber sie kommt nicht gegen sich an. Ihre Mutter schnieft, wedelt hektisch mit den Händen und herrscht Wretcha an, die ebenso sinnlos und erstarrt da steht wie Narzissa, sie möge gefälligst weiterkochen. „Es tut mir leid, dass ich mich so selten sehen lasse… aber ich habe viel zu tun. Das Studium und…“ Und sonst gar nichts. Das Studium war zeitfordernd, aber sie verfügte immer noch frei über ihre Wochenenden und Abende.
„Ist schon gut.“ Sie war beinahe glücklich, als sie den üblichen, barschen Tonfall ihrer Mutter hörte. „Bella ist ja auch kein Stück besser. Und Andromeda… da muss ich wohl kaum noch ein Wort drüber verlieren. Ich nehme an, dein Vater hat es nicht geschafft, dich darüber zu informieren, dass wir in diesem Jahr wirklich ganz unter uns sein werden. Walburga und Orion sind verreist und haben deine lieben Großeltern mitgenommen. Ich habe eine Einladung ausgeschlagen, da dein Vater nur noch mit einer sehr geringen Anzahl an Menschen umgehen kann. Er hat sich sehr auf dich gefreut.“
„Aber wenn es ihm so schlecht geht, wie arbeitet er denn dann?“
„Gar nicht.“ Der Mund ihrer Mutter verzieht sich und mit dem dick aufgetragenen, roten Lippenstift sieht sie auf einmal wie ein trauriger Clown aus. „An manchen Tagen denkt er, dass er zur Arbeit muss und dann geht er ins Ministerium, in sein altes Büro und macht dort Gott wer weiß was mit seinen alten Unterlagen… sein Vorgesetzter, der Abteilungsleiter und ich haben bereits im Oktober entschieden, dass dein Vater nicht mehr in der Lage dazu ist, seine Arbeit fortzuführen. Sein Büro wird vorerst nicht geräumt, um ihn nicht unnötig zu verwirren. Wenn er dort auftaucht, grüßen sie ihn alle freundlich… Herrgott, es ist so ein Theater mit ihm. Aber wenn du ihm ins Gesicht sagst, dass er nicht mehr bei Sinnen ist, dann wird er tobsüchtig.“ Kommentarlos krempelt ihre Mutter ihren linken Ärmel hoch und entblößt zwei großflächige, verblichene blaue Flecken, die bereits eine gelbliche Färbung angenommen haben. „Es ist nicht mehr schön mit ihm.“
„Ich wünschte, ich hätte davon gewusst… im Sommer… es ging ihm doch so gut. Es war doch alles wie immer.“
„In den paar Tagen, in denen du da warst, ja, da hat er sich zusammengerissen. Das hat ihn wieder auf Kurs gebracht, aber… wer weiß, ob es so geblieben wäre. Dir bei deinem kleinen Umzug zu helfen, war jedenfalls seine letzte, große Tat. Seitdem ist er mir nur noch lästig und sorgt stetig für Unordnung.“
„Weiß Bella das alles?“
„Natürlich. Ich habe… ich habe gehofft, es wäre vielleicht eine Verwünschung. Du weißt ja, seine Klienten sind manchmal ein wenig eigensinnig und wer weiß, was gerade in diesen Zeiten für Leute im Ministerium ein und ausgehen, aber Rodolphus und sie sind sich sicher, dass an seinem Zustand überhaupt nichts Magisches ist.“ Sie räuspert sich. „Würdest du bitte in den Salon gehen und dich mit deinem Vater unterhalten? Sonst komme ich hier zu gar nichts und wir kommen nicht zum Essen. Du bist mir heute ehrlich gesagt die größte Hilfe, wenn du mir nicht im Weg stehst und ihn im Auge behältst. Nach dem Essen wird er sich sowieso hinlegen, aber bis dahin könntest du ja vielleicht auch mal ein wenig Verantwortung übernehmen. Bitte.“
Ihre Mutter so eindringlich um etwas bitten zu hören, ist seltsam verstörend, deswegen nickt sie nur gehorsam und geht zurück in den Salon. Noch immer sitzt ihr Vater alleine in seinem Sessel. Rodolphus verweilt im Garten, sein Kopf ist von dem Dampf einer Zigarre eingehüllt. Lucius steht noch immer vor dem Kamin und bemerkt nichts von dem, was um ihn herum geschieht, weil Bella alle Geschütze aufgefahren hat und ihn ohne Atempausen bespricht und Antworten fordert. Wenn ihre Schwester in diesem Modus des unaufhaltsamen Eroberns ist, dann ist es zwecklos, den Bann brechen zu wollen, also geht sie vorsichtig wieder zu ihrem Vater und nimmt ihm gegenüber auf einem der beiden Sofas Platz. Er lächelt sie an und sie lächelt ratlos zurück, als sich die Tür zum Garten öffnet und Rodolphus ohne Dampfwolke zurückkehrt. In seinem Windschatten ist Rabastan, dem vor zwei Wochen irgendjemand einen anständigen Haarschnitt verpasst hat, sodass er nicht wie jemand aussieht, der schon in der nächsten Woche zurück in die Wildnis will. Die Auseinandersetzungen mit seinem Professor haben sich gezogen, doch sie freut sich ganz selbstsüchtig darüber, dass er immer noch im Land ist.
Anstatt zuerst Lucius oder Bella oder ihren Vater zu begrüßen, stürzt er sich auf sie, ohne seinen Mantel auszuziehen und drückt ihr einen stürmischen Kuss auf den Mund. In den letzten Monaten hat sie es irgendwie geschafft, ein direkte Begegnung von Lucius und Rabastan zu unterbinden – und sie gibt es nicht gerne zu, aber sie hat häufig behauptet, Diana zu sehen, wenn sie eigentlich Zeit mit Rabastan verbracht hat. Diese kleinen Lügen sind ihr erstaunlich leicht gefallen, weil sie es schließlich nur tut, um Lucius nicht zu kränken – und Rabastans Geheimnis zu hüten. Leider schätzt Rabastans ihre Bemühungen nicht besonders, sondern verhält sich wie jemand, der heute unbedingt noch einen Kriegsausbruch erleben möchte.
Als Rabastan sich direkt neben sie auf das Sofa fallen lässt und sich auf ihrem Knie abstützt, während er sich nach vorne lehnt und ihrem Vater die Hand schüttelt, hat ihre Schwester die Aufmerksamkeit von Lucius längst verloren. Sie bemerkt direkt, wie Bella weiterspricht und die kleinen Geräusche ausbleiben, mit denen Lucius ihr suggeriert hat, dass er ihr zuhört. Rabastans Gutsherrenart ist ihr unangenehm, aber sie hat sich an sein körperbetontes Verhalten irgendwie auch gewöhnt, sodass es sie eigentlich nur stört, weil sie vermutet, dass es Lucius stört und das ist so verdreht, dass ihr schwindelig wird.
„Rabastan. Wie schön, dass du es auch geschafft hast. Vermissen deine Eltern dich heute nicht?“ Es ist als wäre im Kopf ihres Vaters ein Schalter umgelegt worden. Aus ominösen Gründen scheint Rabastans Anwesenheit ihm zu helfen, sich darauf zu besinnen, wie man sich mit seinen Weihnachtsgästen unterhält. Fasziniert beobachtet sie die kontrollierten Gesten, die er auf einmal zustande bringt.
„Ach, kein bisschen. Sie haben sich auf ihr Landgut in Frankreich zurückgezogen, um dort die freien Tage zu genießen und schon mal für die Zeit nach der Pensionierung zu proben.“ Rabastan zwinkert lässig und seine Ausdrucksweise bringt ihren Vater zum Schmunzeln. „Und ich beehre Ihr schönes Haus und Ihre schönen Töchter doch gerne, wann immer ich geladen bin.“ Seine Hand liegt noch immer auf ihrem Knie und er zieht sie auch nicht zurück, als Bella, Rodolphus und Lucius sich ein wenig unschlüssig auf den Polstermöbeln verteilen. Lucius landet zwischen Rodolphus und ihrer Schwester und es ist ganz klar, dass er sich wohler fühlen könnte.
Ihr Vater hingegen lebt angesichts von so vielen jungen Zuhörern regelrecht auf. Sie lehnt sich auf ihrem Platz zurück, nicht ganz zufrieden, aber auch nicht wirklich unzufrieden. Das Mittagessen kommt schließlich früh genug und dann kann sie sich neben Lucius setzen und ihm irgendwie vermitteln, dass Rabastan nur ein Freund ist. Ein freundlicher Schwager. Oder so etwas Ähnliches.
* * *
Ihr Vorhaben, Lucius zu beschwichtigen, erweist sich als nicht ganz unkompliziert. Ihre Schwester scheint nicht die Absicht zu haben, Lucius freizugeben und weil Narzissa irgendwie allmählich gerne wüsste, was es da zu reden gibt, hakt sie sich ganz unverfroren bei Lucius ein, als Rodolphus noch einmal nach draußen verschwindet, um seinem Laster zu frönen. Ihr Vater und Rabastan unterhalten sich prächtig über irgendeinen Schriftsteller aus dem 18. Jahrhundert und sie sieht wirklich keinen Grund, um nicht den frei gewordenen Platz von Rodolphus einzunehmen. Sie hat nicht vor, sich in die Unterhaltung einzumischen – doch es stört sie ein wenig, als sie merkt, dass sie es nicht einmal könnte, wenn sie denn wollte. Bella fragt Lucius zu irgendeiner Tagung des Zaubergamots aus, deren Inhalt es nicht einmal auf die Innenseiten des „Tagespropheten“ geschafft hat. Ehe sie den Mund überhaupt einmal aufmachen kann, meldet sich ihre Mutter und bittet alle zu Tisch. Narzissa fängt sich einen missbilligenden Blick dafür ein, dass sie nicht bei ihrem Vater sitzt.
Als Bella nach draußen läuft, um Rodolphus aus dem Garten zu holen und Rabastan an der Seite ihres Vaters, schwatzend und bereit zu stützen, ins Esszimmer geht, sind sie für einen kleinen Moment allein. Lucius atmet hörbar auf, aber besonders erleichtert sieht er dabei nicht aus.
„Du schuldest mir eine Erklärung.“
„Ich weiß.“ Sie schmiegt sich kurz an ihn und küsst ihn entschuldigend auf die Wange. „Es ist halb so schlimm wie es aussieht.“
„Immer noch schlimm genug.“
Sie sagt nichts mehr, denn in einem Satz kann sie nun auch nicht die Welt retten, sondern küsst ihn noch einmal und weicht auch nicht von ihm zurück, als sich die Tür zur Veranda öffnet und Rodolphus und Bella eintreten.
Betont langsam steht sie auf und ist froh, dass Lucius mal für einen Moment seinen heiligen Respekt vor ihrer Familie vergessen hat und einen Arm um sie legt, als sie in Richtung des Esszimmers gehen. Sie spürt den Blick ihrer Schwester in ihrem Rücken und gibt sich alle Mühe, um sich nicht wie auf dem Präsentierteller zu fühlen.
Vorspeise und Hauptgang werden von Rabastans unterhaltsamen Anekdoten über seine Studienarbeit und seine skurrilen Erlebnisse in Südamerika getragen. Ihre Eltern, die beide nicht besonders reiselustig sind, aber durchaus gerne mal einen Bildband durchblättern oder eine exotische Reportage in der Zeitung lesen, hören aufmerksam zu, ihr Vater stellt zusammenhängende Fragen und alleine deswegen ist die Laune ihrer Mutter deutlich besser als noch vor knapp einer Stunde.
Lucius lässt zu, dass sie unter dem Tisch ihr Knie über seins legt und lässt die teils gewöhnlichen, teils außergewöhnlich unangenehm vorgetragenen Standardfragen ihrer Mutter über sich entgehen. Ob er sich im Ministerium wohlfühlt. Mit wem er zusammenarbeitet, was denn eigentlich genau seine Aufgaben sind? Wie es seinem Herr Vater so geht? Ob er sie denn auch wirklich heiraten will? Gut, die letzte Frage stellt sie nicht, aber wenn sie danach fragt, ob es dann allmählich mal ein Datum für die Hochzeit gibt und wieso niemand einen Verlobungsring trägt und dabei diesen zweifelnden Tonfall anschlägt, dann klingt es so, als wollte sie Lucius darauf aufmerksam machen, dass er noch die Flucht ergreifen kann.
Sie ist beinahe erleichtert, als ihre Mutter ankündigt, dass es keinen Nachttisch geben wird, weil sie ja alle schon genug Zucker zu sich nehmen und im ganzen Haus Schalen mit Keksen verteilt sind, die Wretcha gebacken hat – und weil es zum Tee einen „einfachen“ Kuchen geben wird. Rodolphus braucht keine zehn Sekunden, um den Tisch zu verlassen und noch während er in der Brusttasche seines Hemds nach der kleinen Kiste mit den Zigarren tastet, dreht er sich um und sieht Rabastan sowie Lucius fragend an.
„Leistet ihr mir Gesellschaft?“
Lucius, der so eine demonstrative Annäherung im Leben nicht erwartet hat, nickt ganz ermattet und steht auf. Der Anblick des halb leeren Tischs veranlasst ihren Vater dazu, leise zu gähnen und zu verkünden, er werde sich einen Moment ausruhen. Ihre Mutter hält nichts mehr, sie befiehlt Wretcha, abzuräumen und sich um das Geschirr zu kümmern und folgt der Hauselfe in die Küche, um ihr Tun zu überwachen – oder um niemandem ins Gesicht sehen zu müssen.
Bella, die am anderen Ende des Tischs gelandet ist, steht auf und setzt sich auf Lucius' Stuhl. Die Haare ihrer Schwester sind wieder ein ganzes Stück gewachsen und ebenso unordentlich wie immer. So sieht Bella beinahe genauso aus wie in ihren Erinnerungen.
„Du hast wirklich Glück.“ Neid ist etwas, das man in Bellas Stimme nur selten hören kann und darum fühlt sie sich beinahe geschmeichelt, als ihre Schwester eine der blond gebliebenen Haarsträhnen um ihren Finger wickelt. „Lucius ist so verliebt in dich. Das kann man ihm richtig ansehen. Er würde alles für dich tun.“
„Ich bin sicher, Rodolphus kann dir auch keinen Wunsch abschlagen.“ Kinder. Sie könnten über Kinder und Kinderwünsche reden, aber warum sollte sie so ein Thema von sich aus ansprechen? Das würde ja nur danach klingen, als ob sie etwas zu erzählen hätte.
„Ja… das kann er wohl nicht, aber er ist mir nicht so treu ergeben. Er hat immer noch seinen eigenen Kopf.“ Implizierte diese Aussage irgendwie, dass Lucius keinen Kopf hatte? Oder dass sie sich am Ende einen Kopf teilten? „Ich muss mit dir über etwas sprechen, Zissy, und es ist mir ganz ernst damit. Ganz furchtbar ernst.“
„Okay. Ich höre dir zu.“ Bella lächelt und irgendetwas an diesem Lächeln ist unfassbar beunruhigend.
„Rodolphus hat einen Freund, der Lucius und dich gerne kennenlernen würde. Du kennst ihn. Jeder kennt ihn, sein Name steht ständig in der Zeitung. Aber die Zeitungen lügen, er ist kein Verbrecher und du darfst jetzt nicht erschrecken, ja, Zissy?“ Bella hat ihre Hand genommen und streichelt mit ihren langen Fingernägeln über Narzissas Handgelenk. „Du glaubst doch auch, dass es im Grunde lächerlich ist, dass wir uns vor den Muggeln verstecken, oder?“
„Es ist nicht lächerlich, es ist sicher.“
„Sicher… sicher… es ist nicht sicher, es ist dumm. Es ist Unsinn. Kein Muggel auf der Welt ist einer Hexe überlegen. Nicht einmal der klügste Muggel auf der Welt könnte einem durchschnittlichen Zauberer etwas anhaben. Wir unterwerfen uns ihnen, weil sie in der Überzahl sind, aber das ergibt doch eigentlich keinen Sinn. Im alten Ägypten, haben sich da die Pharaonen vor ihren Sklaven versteckt, nur weil es so viele von ihnen gab?“
„Das kannst du so nicht vergleichen, Bella, wir sind keine Pharaonen.“
„Aber wir könnten es sein! Das ist doch gerade der Punkt! Hexen und Zauberer sollten wie Könige behandelt werden. Stattdessen erfinden wir Regeln und Abkommen, um nicht von den Ratten gejagt zu werden.“ Die bildhafte Sprache ihrer Schwester verfehlt ihre Wirkung nicht, aber Bella kommt ihr dennoch irgendwie manisch vor. „Du und Lucius, ihr wollt doch mal Kinder haben, oder?“ Kinder. Da ist das Thema also doch. Ganz plötzlich. Ohne den Kontext, den sie hätte erwarten können.
„Ja… schon, irgendwann bestimmt.“
„Na also, wusste ich es doch. Und wenn du dann ein Kind hast, Zissy, und du gehst mit diesem Kind spazieren und dein Kind, dein geliebtes Kind, beschließt, einen Stein in einen Schmetterling zu verwandeln, willst du dann in Panik ausbrechen? Willst du dich davor fürchten, dass ein Muggel das kleine Kunststück gesehen haben könnte? Zissy, es geht um unsere Zukunft. Wir sprechen immer von der Zauberwelt als wäre es eine eigene, abgeschnittene Welt, dabei gibt es nur eine Welt – und in dieser Welt sollten wir leben dürfen. Willst du das etwa nicht?“
„Ich glaube nicht, dass es bei der Idee dieses Freundes von Rodolphus nur darum geht. So harmlos ist das alles nicht. Er hat… um Himmels Willen, er hat versucht, das Zaubereiministerium zu stürzen. Das ist doch Wahnsinn. Lucius arbeitet für das Ministerium. Unser Vater hat für das Ministerium gearbeitet. Unsere Großväter genauso! Willst du, dass unsere Familie ihren guten Ruf verliert, weil wir uns mit einem Größenwahnsinnigen zusammentun? Willst du, dass Lucius seine Arbeit verliert?!“ Beschwichtigend und ungewohnt zärtlich drückt Bella ihre Hand.
„Nun werd‘ nicht gleich hysterisch, Zissy. Denk dran, eine Dame ist niemals hysterisch. Es war nur ein Vorschlag. Ich will Lucius und dir nichts Schlechtes! Ich will nur, dass ihr auf der richtigen Seite steht, wenn auch der Zaubergamot begreift, dass es einiger Veränderungen bedarf. Ich möchte ja nur, dass ihr eine Gelegenheit habt, ihn kennenzulernen. Er hat sich sehr interessiert daran gezeigt, eure Bekanntschaft zu schließen. Das ist nicht selbstverständlich, Zissy, das ist eine Ehre.“
„Führt Rodolphus da draußen gerade dieselbe Unterhaltung mit Lucius wie du hier mit mir?“ Ihre Schwester schlägt ertappt die Augen nieder, doch Narzissa weiß, dass das nur ein Trick ist. Bella ist nicht wirklich verlegen. Im Gegensatz zu ihrer Mutter hält ihre Schwester sie nicht für schwer von Begriff und unterschätzt sie nur in den allerseltensten Fällen und alleine dafür wird Narzissa sie immer lieben. Und ihr immer ein wenig auf den Leim gehen.
„Ja. Aber ich habe Rodolphus und Rabastan schon gesagt, dass Lucius ohne deine Zustimmung sicher keine Entscheidung treffen wird. Dein Wort zählt hier etwas, Zissy. Du entscheidest.“ Deswegen wurde sie auch von der stärkeren Rhetorikerin in die Mangel genommen, während man Lucius zwar zwei, aber zwei weniger charmante Redner auf den Hals gehetzt hatte.
„Rabastan ist also auch darin verstrickt?“
„Rabastan ist kein Narr, auch wenn er sich manchmal so verhält. Und er hat mit eigenen Augen gesehen, wie frei Magie sein kann. Ich würde zwar nicht in seinen Sumpfgebieten leben wollen, aber dort unten haben sie zumindest verstanden, dass Magie Macht ist. Und kein Grund, sich zu verstecken.“ Noch immer hat Bella ihre Hand nicht losgelassen. „Aber warum die Frage nach Rabastan? Hat er dich etwa um den Finger gewickelt? Vertraust du ihm mehr als mir?“
„Ich vertraue dir, Bella. Ich weiß nur nicht, ob das wirklich so eine gute Idee ist. Das klingt alles sehr gefährlich und ich möchte weder Lucius, noch unsere Eltern in Gefahr bringen.“
„Jetzt tu nicht so, als ginge es dir hier um Mutter oder Vater. Die Beiden leben ihr eigenes Leben – und das vermutlich auch nicht mehr allzu lange. Es geht hier alleine um Lucius. Du machst dir Sorgen um ihn und das kann ich verstehen. Er ist jetzt deine Familie und vielleicht ist er dir sogar wichtiger als ich und das akzeptiere ich, aber ich möchte, dass ihr beide Teil von etwas Größerem seid. Ich möchte, dass wir alle eine Familie sind, die an dieselben Dinge glaubt. So wie früher.“
„So wie früher? Also hast du Andromeda denselben Vortrag geboten?“
„Andromeda hat uns verraten. Das ist eindeutig und das ist unverzeihlich. Aber gerade deswegen müssen wir zusammenhalten. Wir stehen uns nicht mehr so nah wie früher, aber das kann doch wieder werden. Das willst du doch auch. Warum sonst hast du mir geschrieben? War das ein pflichtschuldiger Brief?“ Aufrichtig schüttelt sie den Kopf. „Na siehst du.“
„Ich habe dich vermisst. Aber ich vermisse die Bella, die sich nicht von einem Mann wie Rodolphus oder… ach, du weißt schon wem, beeinflussen lässt.“
„Du-weißt-schon-wem? Magst du seinen Namen nicht aussprechen? Willst du auch schon so anfangen?“ In einigen Zeitungen wurde der Name seit einigen Jahren nicht mehr ausgeschrieben. Es gab keine Fotografien, die gedruckt wurden, nicht einmal mehr die wenigen, bekannten Bilder aus der Schulzeit des Mannes, dessen Namen allgemein hin nicht mehr genannt werden wollte. „Lord Voldemort. So heißt er. Der dunkle Lord. Der größte Zauberer dieses Jahrhunderts. Der einzige Zauberer, der mutig und vernünftig genug ist, um etwas gegen die Herrschaft der Muggel und des dreckigen Blutes zu unternehmen!“
„Weißt du, wie du klingst, Bella?“
„Wie klinge ich denn?“
„Wie eine Besessene.“ Narzissa kichert, denn auf einmal muss sie an eines der größten Gefechte zurückdenken, das in ihrer Kindheit stattgefunden hat. Als sie selbst kaum laufen konnte, hat Bella sich dagegen ausgesprochen, dass ihre Familie länger in die Kirche gehen sollte. Weil es Gott nicht gibt. Und weil man gar nicht so laut beten konnte, dass es jemand, der angeblich im Himmel lebte, hören konnte. Das Resultat dieser wochenlangen Debatten war es gewesen, dass die Familie Black nicht mehr in die Kirche ging. Ihr Vater begleitete seine Eltern an ausgewählten Feiertagen und ihre Mutter zündete sich im stillen Kämmerlein eine Kerze an und sprach dort ihre Gebete. Bella hatte gesiegt. Weil sie nicht lockerließ. Weil sie nie von ihrer Meinung abwich. Weil sie nicht nur besessen war, sondern von einer Idee und einem Menschen Besitz ergreifen konnte.
„Du lachst mich aus? Also wirklich, Zissy, das wagst nur du.“ Bellas Mundwinkel zuckten und das war ein gutes Zeichen. Das sprach dafür, dass ihre Schwester vielleicht nicht jedes Wort glaubte, das ihren Mund verließ. „Das darfst nur du… aber versprich mir, dass du darüber nachdenkst, ja? Sprich mit Lucius darüber. In aller Ruhe. Niemand hetzt euch.“
„Ich werde mit Lucius sprechen.“ So viel konnte sie ja tun. Aber versprechen würde sie nichts, denn Versprechen durfte man nicht brechen. Bella drückte ihre Hand noch einmal ganz fest und ließ sie dann los.
„Sehr gut. Und erwähn am Rande vielleicht auch noch, dass Rabastan dir nicht unter den Rock will. Sonst gibt es bei der nächsten familiären Zusammenkunft noch Mord und Todschlag.“ Bella zwinkert ihr freundlich zu und zwickt ihr unter dem Rocksaum in den Oberschenkel. „Du hast ein bisschen zugelegt, willst du mir vielleicht was sagen?“
„Besessen. Du bist besessen. Hab ich dir das heute schon mal gesagt? Das wollte ich nämlich ganz dringend noch losgeworden sein.“